Ich liebe dich, weil du anders bist!
Meistens verlieben wir uns in jemanden, der oder die ganz anders ist:
- Die temperamentvolle Frau findet den ruhigen, ausgleichenden Mann attraktiv.
- Er ist Hans-Dampf in allen Gassen und verliebt sich in eine Frau, die nicht zickig wird, wenn er mal wieder zwei Stunden zu spät kommt.
- Sie, etwas ängstlich und zurückhaltend, ist fasziniert von einer Lebenspartnerin, die die Dinge in die Hand nimmt und nicht lange herumfackelt.
Wir lieben Menschen weil sie so ganz anders sind - zunächst. Wir ziehen uns an, wie zwei Magnete, die ab einer bestimmten Nähe gar nicht anders mehr können, als zueinander zu kommen. "Ihr ergänzt Euch wunderbar", sagen die anderen.
Finden sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und beginnen sich zu lieben, dann spielt diese Dynamik, die Faszination der Unter-schiedlichkeit oft eine Rolle. Mann/Frau ist begeistert davon, wie Liebe die Grenzen überwinden kann. Vielleicht wird die eigene Liebesbeziehung auch überhöht als "Modell für Frieden", als etwas ganz außergewöhnliches gesehen …
Doch nicht nur im Märchen fällt der Prinz vom Sockel / entpuppt sich die Prinzessin als eine Prüfungsaufgabe. Das Unterschiedliche wird in der Krise zum Trennenden:
- Der ausgeglichene Mann ist furchtbar langweilig.
- Die Frau, die alles hinnimmt, ist zu wenig eigenständig und kann keine Entscheidungen treffen.
- Die aktive Lebenspartnerin wird übergriffig, entscheidet ohne zu Fragen, hat keine Geduld und kein Verständnis für Ambivalenzen.
- Der Ehemann mit dem anderen kulturellen Hintergrund bemüht sich zu wenig um Integration und lässt nur das Eigene gelten.
Auch in der Krise ist es wie bei den Magneten. Einer der beiden wechselt die Richtung und was uns bisher zusammengehalten hat, stößt uns nun ab.
Was hilft uns in der Krise?
Was hilft, damit wir wieder lieben können, was anders ist?
Die Kraft des Magneten ist die Kraft Gottes in uns. Er wirkt in jedem, in mir und in meinem Partner, meiner Partnerin. Und er liebt den positiven und den negativen Pol. Für Gott gibt es kein "entweder-oder" - entweder deines oder meines ist "richtig", sondern ein "sowohl-als-auch". So ist das mit unserer Liebe. Sie vertieft sich und hält Unterschiede zusammen, wenn wir das, was der/die andere gut kann und wir weniger haben, auch in uns entwickeln. Das ist nicht immer einfach. Doch vielleicht es der tiefere Grund, Gottes Grund, warum gerade wir beide zueinander gefunden haben? Damit wir die Angst vor dem, was uns selbst fremd ist, verlieren und in unseren Denk- und Handlungsmöglichkeiten weiter werden:
- Die temperamentvolle Frau lässt auch ihre Bedürftigkeit und Unsicherheit zu. So kann sie erleben, dass sie geliebt wird, auch in der Schwäche.
- Der ruhige Mann entwickelt Eigeninitiative und traut sich, seine eigene Meinung einzubringen. Er macht die Erfahrung, dass er plötzlich zu einem interessanten Gesprächspartner wird.
- Die Frau, die immer für alles die Verantwortung übernimmt - und sich dadurch auch einsam fühlt - erfährt, wenn sie auch andere gelten lässt, wie fruchtbar, bunt und leicht das Leben sein kann.
- Paare entwickeln in Respekt und mit Humor einen eigenen, gemeinsamen Lebensstil, der die beiden Kulturen verbindet und die jeweiligen Werte gelten lässt. Die Toleranz, die die gesamte Gesellschaft braucht, wird konkret in der eigenen Familie.
In der asiatischen Philosophie gibt es statt der Polarität der Magneten das Bild von Ying-Yang. Beide Kräfte werden wie zwei Tropfen gezeichnet, die miteinander das Ganze bilden und sich ergänzen. Entscheidend scheint mit dabei, dass in jedem Tropfen ein kleiner Kreis mit der Farbe des anderen ist. Ying hat in sich auch Yang und umgekehrt.
Ich liebe Dich, weil du anders bist - Ich ärgere mich, dass du anders bist - Ich entwickle in mir das, wo du anders bist - und vertraue der Liebe, die uns verbindet.
Ansprache im Gottesdienst anläßlich der Internationalen Wochen gegen Rassismus Karlsruhe, 21.03.2021 Stadtkirche am Marktplatz